Ein Bestseller über den Kultbezirk wurde neu aufgelegt
Von Hartmut Seefeld
Die DDR in den 80er Jahren. Im ganzen Land werkeln die Menschen fleißig am Sozialismus. Im ganzen Land? Nein, ein kleines Bergvolk, mitten in Ostberlin beheimatet, widersetzt sich erfolgreich den vorgegebenen Ritualen und Normen! Der Prenzlauer Berg hat einen markanten Ruf – als Nischenbezirk, als Kulisse für Dekadenz und Unmoral, als Heimat von Künstlern und -vor allem- Lebenskünstlern.
Die Autorin Daniela Dahn hatte sich vor 15 Jahren aufgemacht zu einer Tour auf den Berg, neugierig darauf zu erkunden, wo die Wahrheit endet und die Legenden beginnen, aufgeschlossen dafür zu erfahren, was die Menschen hier treibt und was sie treiben, unvoreingenommen jenen gegenüber, denen geradlinige Biographien ein Gräuel sind. Kennen gelernt hat sie unter vielen anderen »Putze«, der wegen Glücksspiel, Devisenvergehen und Pornogucken drei Jahre in den Knast musste, den Kohlenhändler Goldhammer, der schon den Bluesmusiker Stefan Diestelmann zu Text und Noten inspirierte, die Witwe des Or-gelbauers Bacigalupo, die ihre Lebenskraft aus einem alten Klavier schöpfte, den Punker Lutz, der lieber die kaputtmachen will, die ihn kaputtmachen, und der genau wusste, wo sich das eingeebnete Grab des SA-Idols Horst Wessel befindet.
In klassischer Kischmanier zog Dahn durch die Kieze zwischen Mauer und Friedrichshain, sammelte Geschichten und erwarb neue Blicke. Ihr großes Geschick bestand darin, beides für den Leser erlebbar zu machen. »Wann zuvor ging hierzulande solches je in Druck?«, schwärmte damals der Journalist und heutige »Zeit«-Redakteur Christoph Dieckmann über das Werk, dem die offensichtliche Nonchalance der DDR-Zensur 1987 anlässlich der zum Teil pompös zelebrierten Feierlichkeiten zum 750jährigen Jubiläums Berlins ein Erscheinen ermöglichte. Dahn zerriss mit sanfter Stimme den Vorhang, der Jahrzehnte die Querulanten der Republik verbarg, die vorher bestenfalls im Kleingedruckten der öffentlich Statistik zur Wahlbeteiligung mit der landesweit geringsten Quote von sich reden gemacht hatten. »Das einzige Buch, das es bislang über den Prenzlauer Berg gab, war eine heimatkundliche Abhandlung zweier Lehrer aus dem Jahre 1928«, ordnete Dahn ihren Anspruch gleich selbst richtig ein. Viele historische Details, die sie in ihrem Buch reflektiert, ermöglichen auch erst ein Verstehen der Geschichten und Beobachtungen.
Die Neuauflage des bald als Kultbuch stilisierten Stadteilporträts, dreizehn Jahre nach dem ersten Erscheinen und zehn Jahre nach der Wende, ist von Daniela Dahn durch ein rund 30seitiges Kapitel »Auf der Suche nach der verneuerten Zeit« ergänzt worden. Hier versucht die Autorin, die vielschichtigen Umwälzungen der 90er Jahre widerzuspiegeln.
Zwei Drittel der einstigen Bewohnerschaft ist verzogen, konstatiert Dahn betroffen und zitiert den ehemaligen Baustadtrat und heutigen Geschäftsführer der Sanierungsgesellschaft S.T.E.R.N., Matthias Klipp, mit den Worten: »Besonders bei der Privatsanierung gibt es massive Probleme, mit Auszugsquoten bis zu achtzig Prozent«, und »Längst nicht jeder, der geht, ist verdrängt«.
Knapp dreißig Seiten für dreizehn spannende Jahre. Irgendwie, scheint es, ist der Prenzlauer Berg langweiliger geworden, unaufgeregter und angepasst. Ein Pankower Ortsteil eben. Mehr wohl nicht.