Joseph Roth fiel es im Jahr 1931 nicht ganz leicht, ein Bekenntnis zu Deutschland abzugeben. Wie verhält es sich heute damit? Cicero hat außergewöhnliche Zeitgenossen gebeten, sich zu bekennen. Daniela Dahn hält es mit Ludwig Börne.
Schon dem Drängen zum Bekenntnis, also zur Festlegung auf eine Glaubensformel, nachzugeben, habe ich in diesem Leben keine Lust mehr. Und erst recht wenn es um Deutschland geht, fühle ich mich im Wissen wohler als im Glauben.
Im Strudel der untergehenden Weimarer Demokratie war Joseph Roths beschwörende Warnung, die Selbstverständlichkeit des sich in einem gemeinsamen Kultur- und Sprachraums Heimischfühlens nicht zu nationalem Überlegenheitswahn gegenüber anderen zu missbrauchen, von besonderer, wenn auch ungehört gebliebener Dringlichkeit. Doch das berechtigte Misstrauen von Schriftstellern und Intellektuellen gegenüber dem Patriotismus als Waffe gegen Kritik und „Nestbeschmutzung“ hat in Deutschland lange Tradition.
Kritisieren heißt, sich verantwortlich zu fühlen
Mit fast gleich lautenden Worten hat hundert Jahre zuvor Ludwig Börne, auch ein deutsch-jüdischer Autor, der von der Nachwelt gern als Patriot vereinnahmt wird, sich gegen Angriffe erwehren müssen: „Ich habe nicht den deutschen Patriotismus allein“, schrieb Börne, „ich habe auch den französischen und jeden anderen verdammt, und ich habe ihn nicht für eine Narrheit erklärt, sondern für mehr, für eine Sünde.“ Die Vaterlandsliebe sei zwar ein angeborener und darum natürlicher Trieb, die Machthaber hätten den Völkern von Patriotismus aber eine ganz falsche Bedeutung aufgeschwatzt, „um sie aneinander zu hetzen und wechselseitig zu unterdrücken“.
Die Herrschenden haben das Bedürfnis nach Zugehörigkeit missbraucht zu der Lüge: „Das Ausland hassen heiße sein Vaterland lieben.“ Deshalb ist die Liebe zum Vaterland für Börne nur so lange „eine Tugend, solange sie in ihren Schranken bleibt, darüber hinaus wird sie ein Laster … Was mich betrifft, so war ich, Gott sei Dank, nie ein Tölpel des Patriotismus, dieser Köder des Ehrgeizes … hat mich nie gefangen.“ Er spricht sogar davon, dass es die schöne Bestimmung der Deutschen sei, keinen Patriotismus zu haben, „und wie sich dieses einst zum Glücke der europäischen Menschheit wenden werde“.
Auch Börne liebte Deutschland, weil es unglücklicher gewesen sei als andere Nationen. Er liebte nicht aus Stolz, sondern aus Sorge. Aus einer Art Mitleiden, das selber krank macht. Wie viele in meiner nach der Nazizeit geborenen Generation in Ost und West bin ich kosmopolitisch und nicht national sozialisiert. Patriotismus bedeutet für mich immerhin ein durch gemeinsame Sprache, Kultur und Gesetzgebung vermitteltes Gefühl von erhöhter Zuständigkeit. Kritisieren heißt, sich verantwortlich zu fühlen.
Soziale Prägungen können dominanter als nationale sein
Die Vereinigung Deutschlands hat, von einigen Ewiggestrigen abgesehen, das Nationale schon deshalb nicht aufgeladen, weil das „sich innerhalb einer Nation heimisch fühlen“ nicht eingetreten ist. Die Mehrheit der Ostdeutschen fühlt sich immer noch als Bürger zweiter Klasse. Jurek Becker hat es „eine Art Fremdenfeindlichkeit zwischen West- und Ostdeutschen“ genannt.
Auch wenn die kulturellen Trennlinien heute längst nicht mehr klar Ost-West verlaufen, hat sich gezeigt, dass soziale und politische Prägungen dominanter sein können als nationale. Wird sich daran im größeren Europa etwas ändern? Werden wir zusammenrücken, um die Schwächeren ökonomisch zu erobern? Hoffentlich hält auch Vaterlandsliebe uns davon ab, „da doch, wie die Weltgeschichte lehrt, selbst jedes erobernde Volk durch die Eroberung seine Freiheit verloren“.
Wenn Börne ein Patriot war, dann bin ich eine Patriotin.