Verfahren à la Metternich – Freitag 13 vom 28.03.2008

„ROTE ZELLE“ ENTSORGT

Der Deutschlandfunk stellt unbequeme Literaturredakteure kalt

Unter dem neuen Namen Andruck – das Magazin für politische Literatur strahlt der Deutschlandfunk ab dem 7. April die bisherige Sendung Politische Literatur aus. Nicht nur der Name ändert sich, auch das Format wird angepasst.“ Die Presseerklärung des Kölner Senders verheimlicht jedoch die wichtigste „Anpassung“: Den für das vielfach ausgezeichnete politische Feature zuständigen Redakteuren Karin Beindorff und Hermann Theißen, die auch die Politische Literatur über Jahre geprägt und sie zur interessantesten Sachbuchsendung im öffentlich-rechtlichen Hörfunk gemacht haben, wurde die redaktionelle Verantwortung entzogen. Sie sollen auch als Moderatoren nicht mehr zu hören sein.

In ihren – im positiven Sinne – anstößigen Sendungen rezensierten Elisabeth Bronfen, Klaus Theweleit, Volker Ullrich, Norbert Frei, Hans-Martin Lohmann, Klaus Kreimeier, Daniel Cil Brecher, Elmar Altvater, Bernd Greiner, Lothar Baier und viele andere namhafte Vertreter der kritischen Publizistik. Man konnte dort ebenso sachkundige wie provokante Gespräche mit Heiner Müller, Wolfgang Engler, Hans-Ulrich Wehler, Christoph Butterwegge oder Edgar Wolfrum hören. Viele Beiträge wurden von Zeitungen und Zeitschriften nachgedruckt, manche, mitunter sogar ganze Sendungen, finden sich in Büchern wieder.

Keine Rechtskultur

Doch solche Qualitätsausweise zählen für die Programmverantwortlichen beim Deutschlandfunk (DLF) offenbar nicht. Auf einer Redakteursversammlung gab Chefredakteur Dieter Jepsen-Föge zwar seine „hohe Wertschätzung für Frau Beindorff und Herrn Theißen und ihre Arbeit“ zu Protokoll, aber in der Redaktion habe es „Verwerfungen“ gegeben, die er nur durch die Absetzung der beiden Redakteure habe auflösen können. Der erst vor wenigen Monaten ernannte Redaktionsleiter, der seinen Programmdirektor bis hin zu dessen Vorliebe für meist verunglückende Schlacht- und Kriegsmetaphern kopiert, erläuterte den staunenden Mitarbeitern, was man im Kölner Funkhaus so alles unter „Verwerfungen“ versteht.

Nachdem auf einer Redaktionskonferenz etwas härter als sonst über Qualitätsansprüche von Sendungen gestritten worden sei, hätten sich zwei Redakteure, deren Namen er nicht nennen könne und dürfe, bei ihm über das „Klima“ auf dieser Konferenz beschwert. Das habe bei ihm „alle Alarmglocken schrillen lassen“. Statt ein Gespräch mit den beiden Redakteuren zu suchen, die für die klimatischen Verstimmungen verantwortlich gemacht wurden, wandte er sich direkt an Chefredakteur und Programmdirektor. Auch die fanden es nicht weiter erstaunlich, dass anonyme Denunziationen der kollegialen Auseinandersetzung vorgezogen werden sollen. Sie sahen keine Notwendigkeit, Beindorff und Theißen anzuhören, um so mehr aber, sie als für die Politische Literatur zuständige Redakteure abzusetzen. Nicht einmal „ein Minimum an Rechtskultur“ habe es bei diesem Verfahren gegeben, befand Matthias Straessner, der Kulturchef des Kölner Senders.

Er führte dies auf eine „Hysteriegeschichte“ zurück, die die Redaktion seit Jahren zu spüren bekommt. Deren Initiator ist Günter Müchler, Programmdirektor von DLF und Deutschlandradio Kultur. Er gilt als Vertreter der CDU im Proporzgefüge des Senders. Als solcher scheint er eine Allergie gegen Eigensinn seiner Redakteure zu haben und gegen alles, was sich links von dem bewegt, was er für die Mitte hält. Vielleicht eine Spätfolge seines Buches über das Metternichsche Zensur-System.

Bereits vor zehn Jahren hatte Müchler ein in der Redaktion von Hermann Theißen entstandenes Feature mit dem Titel: Endlager für Parteifunktionäre – Wem dient die Bundeszentrale für Politische Bildung?, das die Rechtslastigkeit dieser Einrichtung kritisierte, zu verhindern versucht. Wenig später kippte er einen von Karin Beindorff betreuten Rückblick auf die „Sympathisantenhatz“ während des Deutschen Herbstes 1977 aus dem Programm. Die Featureredaktion sei eine „rote Zelle“ tönte Müchler. Einen Kritiker seiner Formierungspolitik diffamierte er sogar als „besonders verunglücktes Exemplar des homo sapiens“. Gemeint war der Medienwissenschaftler und Publizist Klaus Kreimeier. Der hatte in der taz geschrieben: „Müchler kann eine ganz bestimmte Richtung auf den Tod nicht ausstehen. Das ist sein gutes Recht, doch mit dieser Idiosynkrasie ist er als Programmchef einer öffentlich-rechtlichen Anstalt fehl am Platz. Eher gehört er ins Bundeskanzleramt, dem er als Autor eines Buches Helmut Kohl – Kanzler der deutschen Einheit ohnehin stärker verbunden ist, als es das Ausgewogenheitsgebot der Rundfunkverfassungen erlaubt.“

Alles nur Handwerk

All das führte auch damals zu mit harten Bandagen ausgetragenen Auseinandersetzungen, von „Verwerfungen“ war indes keine Rede. Die Featureabteilung wurde aufgelöst und zeitweise eingegliedert in die Abteilung Hintergrund, deren damaliger Leiter, der ebenfalls CDU-nahe Wehr- und Sicherheitsexperte Rolf Clement, allerdings an seinem Auftrag scheiterte, die beiden Redakteure an die kurze Leine zu legen.

Den Einfluss von Beindorff und Theißen auf die Sendung Politische Literatur begrenzte der Kanzler-Jubelprosaist Müchler, indem er ihnen ihm nahe stehende Redakteure zur Seite stellte, einen Propagandisten der katholischen Sekte Opus Dei zum Beispiel.

Deutschlandradio-Intendant Ernst Elitz fand es damals bedauerlich, dass Kritik an „handwerklichen Mängeln“ einiger Feature zu einem Zensurvorwurf geführt hätte. Diesen ließ er schon aus formalen Gründen nicht gelten: Zensur meine immer einen von außen, meist von staatlichen Stellen kommenden Angriff auf redaktionelle Arbeit, hieß es in einem Intendantenbrief. Wie praktisch – was immer innerredaktionell geschieht, ob das unbegründete Vorschieben formaler Einwände oder der Rauswurf unbequemer Autoren – alles nur Handwerk. Dass sich der Zensor über die allzu parteipolitisch dominierten Gremien einschleichen könnte, die die Anstaltsleitung wählen, kommt nicht in Betracht. Zumal Sender mit ihrem Programmauftrag der Öffentlichkeit verpflichtet sind, und nicht den Parteien.

„Im Vordergrund“ des neu gestalteten Magazins für politische Literatur, heißt es in der eingangs zitierten Presseerklärung, stehe der „Servicegedanke“. Eine Chiffre, die gern benutzt wird, wenn Verflachung gemeint ist. Und darum scheint es beim DLF zu gehen. Kritische und eigenwillige Journalisten sollen ausgeschaltet werden, um ungestört von redaktionellen Kontroversen Anstößiges durch Formatiertes ersetzen zu können. „Qualität“, definiert Elitz, „ist die Abkehr vom ewig Gleichen und die Pflicht zur Provokation.“ Das ist schön gesagt, doch behält es den Charakter einer Sonntagsrede, wenn der Intendant nicht dagegen einschreitet, dass sein Programmdirektor den Raum für Provokation und kritische Auseinandersetzung immer mehr verengt.