Berliner Begegnungen – Akademie der Künste

3.12.2022

Wo ist unser Platz als Kulturschaffende in einem Krieg? Auch der „Krieg der Narrative“, von dem EU-Chefdiplomat Borrell spricht, kennt keine Grenzen mehr. An dieser Front deeskalierend einzugreifen, scheint mir für uns ein Gebot, das auch die erste Berliner Begegnung prägte. Und wir sind für die westlichen Narrative zuständig, auf die anderen haben wir schon gar keinen Einfluss. Da auch diese unter uns umstritten sind, setzt Deeskalation wie damals voraus, die Meinung der anderen für überlegenswert zu halten, Niemandem die Friedensfähigkeit abzusprechen. Zu kritisieren ist im jetzigen Stadium m.E. vor allem der Mangel an Friedenskonzepten auf allen Seiten.

Man hörte von einem solchen zuletzt im März in Istanbul. Der türkischer Außenminister sprach von den „bedeutendsten Fortschritten“ in den Friedensverhandlungen zwischen Russland und der Ukraine, bei denen eine Übereinkunft in greifbare Nähe gerückt war. Zur Diskussion in Istanbul stand ein Vertragsangebot, nach dem sich die Russen hinter die Linien von vor dem Überfall zurückziehen. Im Falle eines Waffenstillstandes ging Selenskyj weitgehend auf die Vorschläge ein: mögliche Neutralität der Ukraine bei Sicherheitsgarantien, vorläufige Anerkennung des Status der Krim und Referenden über den künftigen Status der Donbass-Republiken. Vier Wochen Krieg hatten ihm offensichtlich genügt sich vorzustellen, welche Verheerungen eine Fortführung der Kämpfe anrichten würden. Zuversichtlich versprach er auf dem US-Sender ABC: “Wir werden auf Verhandlungen bestehen, bis wir einen Weg finden, unseren Menschen zu sagen: So kommen wir zum Frieden.“

Doch sofort reiste Boris Johnson nach Kiew, beschwor Selenskyj, wie die Times schrieb, „keine Einigung mit Russland, solange die Ukraine nicht die Oberhand“ habe. Der Westen werde sie mit Waffen und Geldern zum Sieg führen. Ein Nato-Sondergipfel am 23. März in Brüssel bekräftigte: Verhandlungen erst, wenn Russland seine Niederlage akzeptiert hat.
Seither bombt sich dieser Krieg in die Unlösbarkeit. Geopolitische Machtkämpfe, Von Russland jetzt auf die Spitze getrieben, werden auf das Unverantwortlichste mit dem Leid der betroffenen Bevölkerungen bezahlt. Die Zerstörung des Friedens im Namen seiner Erhaltung.

In seiner jetzt oft zitierten Schrift „Zum ewigen Frieden“ beschwor I. Kant in gegenwärtiger Sprache, aber ungegenwärtigem Denken: „Irgendein Vertrauen auf die Denkungsart des Feindes muss mitten im Krieg noch übrigbleiben, weil sonst kein Friede abgeschlossen werden könnte und die Feindseligkeit in einem Ausrottungskrieg ausschlagen würde“, was „den ewigen Frieden nur auf dem großen Kirchhofe der Menschengattung stattfinden lassen würde.“
Einstein hat sich aus solchen Überlegungen als „militanten Pazifisten“ bezeichnet. An Freud schrieb er: Die Massen sind niemals kriegslüstern, solange sie nicht durch Propaganda vergiftet werden.“ Das trifft es auch heute – wir müssen entgiften.

Putin hat die westliche Friedensordnung angegriffen, heißt es jetzt. Aber hat es eine solche nach der Zeitenwende bei Wegfall der Systemkonkurrenz noch gegeben? Eine Phase der Unipolarität bestimmte das Weltgeschehen. Wie der Forschungsdienst des US- Kongresses jetzt veröffentlichte, haben die USA seit 1991 weltweit 251 militärische Aktionen unternommen, von „humanitären Interventionen“ und großen „Kriegen gegen den Terror“, über weiträumige Nato-Manöver, rotierende Truppen und den Ausbau von ausländischen Militärstützpunkten. Das Völkerrecht war spätestens seit dem Nato-Angriffskrieg gegen Serbien, in dem auch schwere Kriegsverbrechen begangen, Souveränität verletzt und europäische Grenzen verschoben wurden, nicht mehr das Referenzsystem von staatlichem Handeln. Ja, Autokraten wie Putin setzen jetzt mühsam errungene, internationale Regeln außer Kraft. Aber zuvor haben Demokraten diese Regeln außer Kraft gesetzt. Kein Whataboutismus hilft darüber hinweg.
Die vermeintliche internationale Friedensordnung zeigte sich als eine Welt, in der der Profit der Rüstungsindustrie größer ist als das Einkommen der Hälfte der Weltbevölkerung. Zu einer solchen „Friedensordnung“ sollte niemand zurück wollen. Deeskalation und Kontexte herstellen, die unterbelichtet sind, das scheint mir unsere Aufgabe.