Vier Bundestagsparteien votierten für Präsidentschaftskandidaten der Eliten. Ein Gespräch mit Daniela Dahn
Interview: Gitta Düperthal
CDU, FDP, SPD und Grüne setzen einhellig auf den fundamentalen Antisozialisten Joachim Gauck als Bundespräsidenten. Wie beurteilen Sie diese Kandidatenkür – hat eine Gleichschaltung aller vier etablierten Bundestagsparteien zur kapitalistischen Einheitspartei stattgefunden?
Diese gemeinsame Begeisterung ist in der Tat atemberaubend. Am wenigsten überrascht war ich bei der FDP, da fragte man sich eher, weshalb diese Partei nicht schon bei der letzten Abstimmung bemerkt hat, daß Freiheit für Joachim Gauck meist die Freiheit der Eliten ist, besonders der Wirtschaft. Für Hartz-IV-Empfänger findet er nicht so warme Worte. Die Freiheit des Leiharbeiters ist nicht sein Thema.
Überraschter war ich eher von Angela Merkels Kehrtwende. Denn sie hat doch offensichtlich erhebliche inhaltliche Differenzen mit Gauck, wie sie ja in einem Nebensatz auch andeutete. Eine davon ist vermutlich, daß sich Gauck herablassend über die vorgezogene Begrenzung der Laufzeit von Atomkraftwerken geäußert hat, was erstaunlicherweise die Euphorie der Grünen nicht trüben kann. Die Bedrohung der Umwelt ist kein Thema, das ihn interessiert. Am meisten hat mich schon immer die Unterstützung durch die SPD verwundert, denn kaum jemand hat die politische Instrumentalisierung der Stasi-Unterlagenbehörde so scharf kritisiert wie Sozialdemokraten. Sie haben sogar bei Eichborn »Das Gauck-Lesebuch. Eine Behörde abseits der Verfassung?« herausgegeben. Das vereinigende Band ist offenbar, was der Sozialdemokrat Günter Gaus einmal den pathologischen Antikommunismus der Bundesrepublik nannte.
Wird er ein Präsident für alle werden können, obwohl er beispielsweise die »Occupy«-Bewegung mit ihrer Kapitalismuskritik für »unsäglich albern« hält?
Da die »Occupy«-Bewegung von sich sagt, »Wir sind 99 Prozent«, dürfte es da ein kleines Problem geben. Aber das wird ein pathetischer Rhetoriker schon meistern. Gauck war schon immer ein Taktiker.
Das Erwerbslosenforum Deutschland hält Gauck für einen »arroganten Oberlehrer«, weil er Hartz-IV-Kritiker als töricht und geschichtsvergessen bezeichnet hat …
Der »Präsident der Herzen aller« ist eine Erfindung eines beispiellosen Medienhypes. Gauck hat schon viele Gruppen vor den Kopf gestoßen, die Friedensbewegung, die Gegner der Agenda 2010. Auch der Begriff »Intellektueller« klingt bei ihm oft herablassend.
Ist diese Kandidatenauswahl als gemeinsames Bollwerk gegen die Partei Die Linke zu verstehen?
Es war eine Gelegenheit zu demonstrieren, daß Die Linke eine zu vernachlässigende Größe ist. Insgesamt ist seine Kandidatur aber ein Ruck in Richtung Verbesserung der Diskurshoheit der Konservativen zuungunsten vieler linker Ansätze. Das werden die Grünen und auch die Sozialdemokraten, die laut Parteiprogramm immer noch einen Demokratischen Sozialismus anstreben, noch zu spüren bekommen.
Werden die Grünen mit ihrer eigenen Klientel ein Problem bekommen, weil sie für Gauck votieren, der dem früheren Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin attestierte, mit seinen Thesen »Mut bewiesen« zu haben? Claudia Roth hatte hingegen sein fremdenfeindliches Gedankengut kritisiert.
Nicht nur die Grünen. Ich war dabei, als Sigmar Gabriel im Willy-Brandt-Haus erklärte, er werde persönlich auf den Ausschluß Sarrazins aus der SPD bestehen. Das war damals sein Mut. Politisches Gedächtnis ist sehr kurzlebig, auch das der Wähler. Insofern wird die investigative Presse auch bei diesem Präsidenten nicht zur Ruhe kommen.
Betrifft das nicht auch Gaucks Glaubwürdigkeit als DDR-Bürgerrechtler?
Wie zu hören ist, hat der letzte DDR-Innenminister, Rechtsanwalt Peter-Michael Diestel, vorm Landgericht Rostock einen Prozeß gegen Gauck gewonnen, in dem dieser verbieten lassen wollte, ihn »Begünstigten der Staatssicherheit« zu nennen. Auf Bitten der evangelischen Kirche hat sich der Katholik Diestel dann wohl bereit erklärt, den Streit auf sich beruhen zu lassen. Es müßte nun zum Beispiel »gewulfft« werden, was an dem im Internet kursierenden Gerücht dran ist, daß Gauck mit Hilfe der Stasi zu DDR-Zeiten einen VW-Kleinbus bekommen hat. Sollte das stimmen, würde das schwerer wiegen als Übernachtungen bei Filmproduzenten. Allein die Vorstellung, daß diese Art von Debatten auch mit dem neuen Präsidenten weitergehen wird, ist sehr unbehaglich.