erschienen in der Freitag 6. Dezember 2018
Zwei Pakte, die die UN-Vollversammlung auf den Weg gebracht hat, stehen jetzt vor der Annahme.
Alle reden über den Pakt für Migranten – reden wir über den für Geflüchtete.
Migratio heißt Umzug; Auswanderer hoffen ohne Rechtsanspruch auf Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung, ziehen nicht selten nach Jahren wieder zurück. Zur Flucht Gezwungene, politisch Verfolgte dagegen genießen Asylrecht, wenn auch in Deutschland beschnitten bis zur Unkenntlichkeit, nach der Grundgesetzänderung von 1993, bei der die SPD aus der Opposition heraus für die nötige Zwei-Drittel-Mehrheit sorgte.
Als „Menschen mit Migrationshintergrund“ werden heute der Einfachheit halber alle bezeichnet. Eine scharfe Trennung gibt es letztlich nur auf dem Papier. Auch wenn die unter Mitwirkung von 146 Staaten erarbeiteten Abkommen nicht rechtsverbindlich sind, ist die UN mit ihrem Geist der internationalen Solidarität damit endlich wieder in die Offensive gekommen. So wie einst die Menschenrechte eine normative Moral etabliert haben, ohne selbst einklagbar zu sein, hofft man nun auf wachsende Bereitschaft zur Mitmenschlichkeit.
Waren doch nie mehr Menschen auf der Flucht als heute – 24 Millionen, die Hälfte von ihnen Kinder. Im Windschatten um die Aufregung über die erstmalig geordneten Belange für eine reguläre Migration ist bislang öffentlich kaum zur Kenntnis genommen worden, dass auch für den Umgang mit Geflüchteten in Europa und darüber hinaus eine Abkehr von bisheriger Praxis angestrebt wird. „Robuste und gut funktionierende Regelungen“ sollen die Exil-Länder mit geringem und mittlerem Einkommen entlasten und die Verantwortung gerechter auf alle Staaten verteilen.
Was darauf hinausläuft, die perfiden Dublin-Verträge außer Kraft zu setzen. Deren weitgehend von Deutschland durchgesetzte Logik besteht darin, den ärmeren Ländern zu dekretieren: Wen ihr hereinlasst, für den seid ihr verantwortlich. Derart überforderte Länder wie Griechenland, Bulgarien und Italien wehren die Flüchtlinge ab oder behandeln sie so schlecht, dass sie weiterziehen. Verzweifelt irren die Unwillkommenen durch Europa, werden wie Frachtgut hin und her geschoben.
Freiwillig bekundet die Mehrheit der Staaten nun dazu beitragen zu wollen, dass Flüchtlingen auf humane Weise geholfen wird. Die Würde des Menschen ist kein Konjunktiv, wie es auf der #unteilbar-Demo hieß. Durchgesetzt werden soll das Kardinalprinzip des Flüchtlingsschutzes: Berechtigte Ansprüche dürfen nicht zurückgewiesen werden.
Sosehr also zu wünschen ist, dass die beiden Pakte eine humane Dynamik entfalten, so wenig lässt sich manche Irritation verschweigen. Es wird beteuert, dass der Pakt „völlig unpolitisch“ sei. Bitte was? Ist „unparteiisch“ gemeint, liegt ein Übersetzungsfehler vor? Doch auch im englischen Original ist der Global Compact on Refugees „entirely non-political in nature“. Ist Politik schon so in Verruf geraten, dass man sich in ihrer Nähe nicht mehr sehen lassen will?
Wohl wahr, es gibt derzeit kein Land auf der Welt, dessen politisches Credo wäre: Fluchtursachen first. Ihre Bekämpfung wird einige Zeit in Anspruch nehmen, räumt der Pakt ein und vertraut auf die „Maximierung von Beiträgen des Privatsektors“. Dessen Investitionskraft, Finanzinstrumente und kommerziellen Geschäftsmodelle, ergänzt durch Arbeitskräftemobilität, sollen es richten. Also letztlich die Instrumente, die das ganze soziale Desaster erst angerichtet haben. Das ist hochpolitisch. Und sollte eine entsprechende Antwort erhalten.