9.12.22
Dem schönen alten Volkslied „Die Gedanken sind frei“, das wir eben hörten, hat Konstantin Wecker unlängst eine Zeile hinzugedichtet: Die Gedanken sind frei, solange sie nicht stören. Genau darum geht es bei unserer Protestmahnwache für Julian Assange. Der Wikileaks Gründer wird verfolgt, weil er die Privilegien der Mächtigen zwar nicht gefährdet, aber doch gestört hat. Das angemaßte Privileg besteht darin, einen rechtsfreien Raum für Staatsgeheimnisse zu haben. Selbst dann, wenn diese gesetzeswidrig zustande kamen und nachweislich die skrupellose Durchsetzung der eigenen Interessen der Machthaber zum Ziel haben. Das hat mit westlichen Werten wie Demokratie und Achtung der Menschenrechte nichts zu tun, die Praktiken sind das Gegenteil eines modernen Rechtsstaates. „Die größte Bedrohung für die Sicherheit ist das politische Establishment“, hat UN-Generalsekretär António Guterres schon 2017 auf der Münchner Sicherheitskonferenz gesagt.
Anstatt die von Assange aufgedeckten Verbrechen zu verfolgen, wird er verfolgt. Investigativer Journalismus wird zu Spionage erklärt. Es ist ein Präzedenzfall, wonach Veröffentlichung geheimer Dokumente immer strafbar ist, unabhängig von öffentlichem Interesse. Das Schicksal von Assange soll offenbar allen Whistleblowern abschreckend vor Augen stehen. Übrigens hat der deutsche Gesetzgeber die Whistleblower im eigenen Land immer noch nicht geschützt. Auch nach Ablauf der Frist zur Umsetzung der EU-Whisteblower Richtlinie hat er sich auf nichts einigen können. Auch dagegen protestieren wir.
2010 hatte Julian Assange mit der mutig zur Verfügung gestellten Plattform Wikileaks die Medienwelt auf den Kopf gestellt: Kriegsverbrechen in Afghanistan und Irak, Folter in Guantanamo, Korruption der Mächtigen weltweit. Keines der zweifelsfrei belegten Verbrechen wurde verfolgt oder wenigstens die Opfer und ihre Angehörigen entschädigt.
Sämtlich unbewiesen blieben dagegen die Vorwürfe gegen Assange: Vergewaltiger, Hacker, Spion, High-Tec Terrorist. Unbewiesen ist auch, dass die Enthüllungen der vertraulichen Dokumente vor Ort Menschen gefährdet hätten. Bisher ist in keinem einzigen Fall eine Gefährdung konkreter Personen durch Wikileaks nachgewiesen.
Bewiesen ist vielmehr, dass seine Verfahrensrechte verletzt, angebliche Beweismittel gefälscht, manipuliert oder unterdrückt wurden. Die Erfindungen dienten dazu, Vorwände für die Strafverfolgung von Julian Assange zu schaffen. Die Denunziationen reichten von frauenfeindlich, antisemitisch bis zu Putin-Knecht. Die Zersetzungsstrategie zielte darauf ab, die Integrität der Plattform in den Reihen ihrer Unterstützer irreparabel zu schädigen. Investigative Gegenstimmen wurden stigmatisiert.
Assange bezahlt das seit über 10 Jahren mit dem Verlust seiner Freiheit, isoliert von Familie, Freunden und Außenwelt, auch arbeiten kann er nicht. Dabei sitzt er keine Strafe ab, weder gab es einen Prozeß, noch ist er verurteilt. Es ist kafkaesk. Im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh in London, geht es nur um Fluchtverhinderung. Wie lange darf man jemanden aus diesem Grund festhalten? Lebenslang? Assange zeigt klare Symptome psychischer Folter – ist das beabsichtigt?
Dieser Tage hat selbst Australiens Regierungschef Anthony Albanese die US-Regierung aufgefordert, die Strafverfolgung des australischen Staatsbürgers Julian Assange nach über einem Jahrzehnt einzustellen. Er sehe keinen Sinn darin, dass juristische Vorgehen endlos auszuweiten.
Doch die erstinstanzliche britische Richterin hat alle Punkte der US-Anklage bestätigt. Sie wird wissen warum, denn niemand ist dem Filz der britischen Eliten so nahekommen wie Wikileaks. Die Londoner Gerichtspräsidentin Emma Arbuthnot, hat sich geweigert, den Haftbefehl gegen Assange aufzuheben. Damit hat sie sich der UN widersetzt. Sie, die und auch für die Auslieferung des Whistleblowers zuständig ist, ist verheiratet mit dem US-Vertrauten Lord Arbuthnot. Dieser hat als Vorsitzender des Verteidigungsausschusses des Unterhauses genau die Kriegsverbrechen gerechtfertigt, die Assange aufgedeckt hat. In hoher Funktion im Rüstungskonzern Thales, hat er ein persönliches Interesse an den laufenden Waffenlieferungen seines Hauses in die Ukraine. Auch wegen solcher Connections stehen die Chancen für Assange so schlecht.
Der Dank, der Julian Assange wegen solcher Einsichten gebührt, steht im umgekehrten Verhältnis zu den letztlich nicht ausreichenden Solidaritätsbekundungen, die er erfährt. Deshalb sind wir als Mitglieder des PEN Deutschland heute hier. Deshalb fordern wie in Übereinstimmung mit den UN von Großbritannien, den Haftbefehl gegen Assange aufzuheben und von den USA, die Anklage fallen zu lassen. Solidarität mit Julian Assange ist Solidarität mit
Meinungsfreiheit und Demokratie.