Emanzipation Ja, meint Daniela Dahn: Wir brauchen Amerika, um zu verstehen, wie wichtig eine Wertegemeinschaft aller Staaten auf europäischem Territorium ist
erschienen in: der Freitag | Ausgabe 46/2020
Von den USA lernen, heißt sich emanzipieren lernen. Ja, wir brauchen die Vereinigten Staaten, um gewarnt zu sein, wie eine sich permanent gegen die Menschenrechte versündigende Großmacht mit unilateralem Anspruch untergeht. Und welchen Frust Respektlosigkeit, Unterdrückung, Rassismus und Armut an der Basis auslöst. Kein Land der Welt sperrt so viele Menschen hinter Gitter. Weil es nicht mit den Problemen fertig wird, die zu Kriminalität führen.
Dankbar bin ich bis heute in der Tat für die Anstrengungen in der Anti-Hitler-Koalition. Doch gleich danach galt die Losung: Kapitalismus first. Als sich in allen deutschen Besatzungszonen die Menschen mit starken Mehrheiten für die Verstaatlichung der NS-verstrickten Großindustrie aussprachen, wussten dies die Amerikaner zu verhindern. Dafür musste die Bundesrepublik keine Reparationen zahlen und hat den Marshallplan bekommen. Seither wird hierzulande ein verklärtes Amerika-Bild gepflegt. Der Psychoanalytiker Horst-Eberhard Richter sprach von einer „nach dem Krieg umgepolten Hörigkeit“. Der beidseitige totalitäre Antikommunismus erleichterte die Anschlussfähigkeit.
Das tat auch der demonstrative American Way of Life, die begeisterungsfähige Form von Indoktrination. Amerikaner sind für unsereins ungewohnt freundliche Menschen, es gibt tapfere NGOs, fantastische Universitäten und tolle Autoren. Aber sie alle sind nicht systemrelevant. Ist es nicht ein Werte-Treppenwitz, dass dem berühmtesten Verbreiter von Wahrheit auf Druck der USA von der ganzen westlichen Welt die Tür gewiesen wird und er eine Art Freiheit nur in Russland findet?
Wenn ich in unseren Medien nach der Wahl von Joe Biden höre, nun könne man Amerika wieder lieben und unsere Politiker die Wertegemeinschaft als gerettet ansehen, stehen mir die Haare zu Berge. Der ungebrochene Glaube daran, dass Amerika der Schutzpatron der freien Welt ist, scheint sich als Lebenslüge der Bundesrepublik trotz allem gehalten zu haben.
Watergate und Waterboarding
Dabei hat seit dem Zweiten Weltkrieg kein anderer Staat so viele Angriffskriege geführt und so ignorant gegen Recht und Völkerrecht verstoßen wie die USA. Watergate und Waterboarding. Das nunmehr Trumpismus genannte Phänomen hat es schon immer gegeben. Nachdem ein US-Kriegsschiff einen iranischen Airbus mit 290 Zivilisten abgeschossen hatte, erklärte der damalige Vizepräsident Bush: „Ich werde mich nie für die Vereinigten Staaten entschuldigen. Es interessiert mich nicht, wie die Fakten sind.“
Intellektuell beschränkte, Andersdenkende denunzierende und arbeitsunlustige Präsidenten wie etwa Ronald Reagan gab es nicht selten. Dennoch waren gerade diese oft populär – politische Anspruchslosigkeit gilt in weiten Kreisen der USA eher als Tugend denn als Mangel. Das fragwürdige amerikanische Wahlsystem hat nicht nur einen Trump ermöglicht. Nach seiner beispiellosen vierjährigen Performance konnte er im zweiten Anlauf 70 Millionen Wähler überzeugen, acht Millionen mehr als beim ersten Mal.
Joe Biden mag angenehmer, zivilisierter und staatsmännischer auftreten – aber er kann gar nicht anders, als ein Mann der Wall Street zu sein. Nachdem sich die USA mit 5 Milliarden Dollar an der Vorbereitung des blutigen Putsches auf dem Maidan beteiligt hatte, war der Vorstandsposten für Sohn Hunter in der ukrainischen Gasfirma Burisma kein Fake von Trump. Lukrative Posten für die eigenen Leute, wie in diesem Fall auch ohne Fachkenntnisse, sind legaler Lobbyismus. Auch zwei Mitarbeiter von US-Außenminister Kerry standen schon auf der Gehaltsliste von Burisma. Der neue Präsident wird all die Korruption, die Interventionen und Kriege weder aufarbeiten noch verhindern. Alles für eine friedliche Zusammenarbeit auf Augenhöhe, ja, aber vor Erpressbarkeit, wie bei Nordstream 2 oder Rüstungszusagen, muss man sich schützen. „Mehr Verantwortung übernehmen“ ist orwellsche Sprache, denn verantwortungsloser als aufzurüsten kann man in diesen Zeiten von Pandemie und Klima-Kollaps kaum sein. Also, wir brauchen Amerika, um zu verstehen, wie wichtig eine Wertegemeinschaft aller Staaten auf europäischem Territorium für uns ist.