KEINE PEANUTS MEHR Die Forderungen in Nairobi waren so radikal wie selten zuvor
Nach dem räumlichen Dreiklang Mali – Pakistan – Venezuela im Vorjahr hatte das VII. Weltsozialforum wieder einen einzigen Schauplatz. Zum ersten Mal lag er in Afrika. Als Front der Standhaften gegen einen entfesselten Kapitalismus traf sich die Gemeinde der Globalisierungskritiker diesmal in Nairobi. Und wieder galt: Eine andere Welt ist möglich.
Zeitungen in Nairobi platzieren es auf Seite 1: Auf der Eröffnungsveranstaltung des Weltsozialforums habe die Menge ein plötzliches Verstummen ergriffen, viele seien näher zur Tribüne des im Zentrum der Stadt gelegenen Uhuru Parks gegangen, um sicher zu sein, sich nicht verhört zu haben: Der Italiener Flavio Lotti hat sich vor Tausenden Zuhörern dafür entschuldigt, was die Europäer Afrika angetan haben. Und durch den Knebel des Geldes weiterhin antun. Sie gäben Millionen Dollar für die Aufrüstung des Kontinents aus, statt sich um dessen Entwicklung zu kümmern. Alle Menschenrechte für alle, fordert er. Und folgerichtig: eine globale Revolution gegen den Kapitalismus. Sprechchöre bestätigen die Redner: Down with capitalism, down. Down with water pression, down. Englisch ist Amtssprache in Kenia, fast jeder beherrscht es.
Ans Kreuz genagelt
Trommler, Songs und Busch-Tänze sorgen unter sengender Sonne für Stimmung. Taoufik Ben Abdallah, der afrikanische Forumsaktivist, stellt klar: Wir wollten das WSF nicht, weil wir arm sind und Unterstützung brauchen. Keiner von unseren Gästen soll um Hilfe gebeten werden. Wir wollten es, weil wir Teil der Welt sind.
Was für ein Teil – daran lässt er keinen Zweifel: Von den 850 Millionen Einwohnern Afrikas sind gerade einmal 50 Millionen richtige Bürger. Der „Rest“ hat keine Stimme, um eigene Interessen zu vertreten. Zwei Drittel der Kenianer leben unter der Armutsgrenze von einem Dollar pro Tag. Dafür sind alle Mitglieder des Parlaments Millionäre. Ihre Regierungsgebäude liegen in der eindrucksvollen Downtown mit ihren gläsernen Hochhäusern, Shopping Malls, Bars und Diskotheken. Von den etwa vier Millionen Bewohnern Nairobis leben allerdings weit über eine Million in Kibera, dem größten Slum Afrikas. Ein Marsch durch dieses Asyl der Trostlosigkeit steht auf dem Programm. Down with neocolonialism, down. Viva solidarity, viva.
Armut gilt auch als Missachtung der Schöpfung, da doch vor Gott alle gleich sind. Allgegenwärtig auf dem Forum sind karitative und kirchliche Organisationen. Neben Plakaten, die George Bush als Weltterroristen Nr. 1 anklagen, Poster, die mahnen, Jesus Christ – The King – zu vertrauen. Das schließt nicht aus, dass direkt vor der Hauptbühne die Skulptur eines ans Kreuz genagelten, hochschwangeren 13-jährigen Mädchens mit dem Titel In the Name of God steht. Eine Anklage gegen christlichen Fundamentalismus, der selbst angesichts der Aids-Katastrophe auf seinen Kreuzzug gegen Verhütung und sexuelle Aufklärung nicht verzichtet.
Andererseits verbreitet die Kirche hier Argumente, die bei uns der Linken vorbehalten sind. „Schulden bedeuten Armut, Schulden bedeuten Sklaverei! Ihre Bezahlung abzulehnen, ist rechtmäßig“, mahnt der katholische Verein für ökonomische Gerechtigkeit. In einem Workshop ist die Empörung darüber heftig, dass Kenia für die von den USA ursprünglich geborgten 17 Milliarden Dollar schon 51 Milliarden zurückgezahlt hat, ohne damit etwa schuldenfrei zu sein. Sambias früherer Präsident Kenneth Kaunda mahnt: Brüder und Schwestern, es genügt nicht, die Unabhängigkeit zu erringen, wenn man nicht auch politische und soziale Rechte erkämpft. Der Kampf gegen Apartheid hänge von der Anstrengung jedes Menschen ab. Seine Erinnerung an das Schicksal Lumumbas mag da freilich nicht für jeden anspornend sein.
175 Seiten füllt das Programm des Forums. Allein, vorgeführt zu bekommen, wie vielfältig sich Tausende Organisationen für eine andere Welt engagieren, von dörflichen Gruppen in der Sahara bis zur UNESCO, ist durchaus ermutigend. Die Analysen sind oft bestechend, die Schlussfolgerungen nahe liegend, doch die Alternativen bleiben zu appellativ. Zu übermächtig scheint der Gegner, der sein verheerendes Treiben durch Rechtstitel zu schützen versteht. Der Neoliberalismus hat uns den Traum von der Demokratisierung der Wirtschaft abgeschminkt, das sei very fundamental, hört man immer wieder in den Debatten zu Eigentumsfragen, die letztlich im Zentrum des Forums stehen.
Wie leben Sie jetzt?
Eher zufällig komme ich auf dem Terrain des Sportzentrums Kasarani, dem Ort fast aller Meetings, an einem großen Zelt vorbei, in dem sich gerade einige hundert Schwarze zum Gebet erheben – Weiße sind nur vereinzelt zu sehen. Neugierig versuche ich zu verstehen, was vorgeht.
Im rechten Winkel sind zwei lange Tische aufgebaut, an denen sehr gebildet wirkende Männer mittleren Alters in dunklen Anzügen, eine unter den Alternativen unübliche Kostümierung, Platz genommen haben.
Eine Frau wird nach vorn gerufen und das Publikum aufgefordert, die Zeugin mit Respekt zu behandeln. Einer der Männer erhebt sich und fragt die Frau, weshalb sie vor diesem Gericht erschienen sei.
Die Polizei kam, um mich und meine Kinder von meinem Land in Malindi, an der Küste, zu vertreiben. Sie haben uns geschlagen, als wir uns weigerten, die Farm zerstört, meine Bananenbäume, das Haus.
Haben Sie Unterlagen, dass es Ihr Land ist?, fragt der Anwalt.
Ich habe das Land von meinem Vater bekommen, der es von seinem Vater erhielt. Alle Vorfahren sind hier geboren und begraben. Es ist unser Land, weil wir hier leben.
Eine Urkunde haben Sie nicht? – Nein!
Was ist mit Ihrem Land geschehen?
Die Regierung hat es an eine Privatfirma verkauft, die Salz gewinnt, das ganze Ackerland austrocknet und versalzt.
Sind Sie entschädigt worden?
Ich habe diese Peanuts abgelehnt, drei Dollar für einen Obstbaum, der uns ernährt hat. – Wie leben Sie jetzt? – In einem Bretterverschlag ohne Wasser. Ich habe nichts mehr, die Kinder können nicht zur Schule gehen – sie beginnt zu schluchzen.
Nach ihr werden noch zwei Männer mit ähnlichem Schicksal angehört. Ein Fischer aus Kwale ist mit Bulldozern vertrieben worden, von einem internationalen Bergbauunternehmen, das aus dem sand of doom – dem Sand des Verhängnisses – reines Titanium gewinnt. Ohne Auflagen zur Erhaltung der Umwelt. Nachbarn sei es ähnlich ergangen, es gab Exzesse und Vergewaltigungen. Doch der Fischer hält sein kleines Stück Land, auf dem die Eltern begraben sind, besetzt. In der afrikanischen Kultur ist die Vorstellung, dass Tote in ihrer Ruhe gestört und umgebettet werden, unerträglich. Fischen darf er nicht mehr, er hat kein Einkommen.
Ich bitte dieses Gericht, mir zu helfen, mein Land zurückzubekommen.
Der Anwalt der Kläger gegen die Regierung hält ein bewegendes Plädoyer: Offenbar leiden wir in Kenia noch heute unter den Folgen der Kolonisation. Die Briten haben uns das Land einst weggenommen, nach ihrem Abzug ist es nicht denen, die es seit Generationen bewirtschaftet haben, zurückgegeben, sondern der Regierung überlassen worden. Deren Vertreter behandeln es wie ihr Privateigentum, nein, schlechter, denn sie sind korrupt und verschleudern es. Dieses Niemandsland wirkt wie eine Art anhaltende Apartheid. Menschen, die protestiert haben, wurden getötet. Wir erfahren nie, wie viel Profit die Konzerne aus unseren Bodenschätzen ziehen.
Schließlich wird auch ein Vertreter der Mining Company gehört. Wird das Land für das Gemeinwohl genutzt? Ja, behauptet er, wir schaffen Arbeitsplätze, bauen Schulen, jeder wurde entschädigt. Im Publikum entsteht Gelächter.
Schließlich wird noch der Rechtswissenschaftler, Professor Babu Mathew, aus Indien als Zeuge gehört. Wir haben alle die gleichen Probleme, sagt er, während auf einer Leinwand Bilder von zerstörten indischen Dörfern erscheinen. Wir brauchen ein neues Recht, das uns nicht fremd ist. Es ist Zeit, das angelsächsische Recht in den Indischen Ozean zu kippen! Das Publikum tobt vor Begeisterung. Wir brauchen kein Recht, um verkauft und ausgeschlossen zu werden. Kein Recht, um unseres Lebensraumes beraubt zu werden. Kein Recht auf unqualifizierte Eigentumsübertragungen. Wir wollen ein Recht des unkündbaren Besitzes an kommunalem Eigentum, damit wir das Land ohne Angst bewirtschaften und an unsere Kinder weitergeben können. Tosender Beifall.
Unter der linken Regierung Indiens gäbe es einen Anfang für solche Rechtsprechung: Wer Land über drei Generationen bearbeitet, bekäme es übertragen.
Dann erhebt sich das Gericht, um das Urteil zu verkünden: Kenia hat ein postkoloniales Recht geerbt, dass im Widerspruch zu hiesigem Gewohnheitsrecht steht. Wir verurteilen die Regierung, den Vertriebenen ihr angestammtes Land zurückzugeben oder sie auf gleichwertigem Land anzusiedeln und angemessen zu entschädigen. Wir verurteilen sie, langfristige Maßnahmen zu beschließen, um die Investoren zu zwingen, die von ihnen verursachten Zerstörungen der Natur wenigstens zu mildern. Viva Afrika, viva.