Publizistin Daniela Dahn und Pfarrer Friedrich Schorlemmer über Ost, West und die Rolle zwischen den Stühlen
Es könnte jetzt der schmale Grat erreicht sein, da alles noch restriktiver oder aber besser werden kann. Ein historischer Moment in der Schwebe, den man nicht sich selber überlassen darf. DANIELA DAHN
nd: Daniela Dahn, Friedrich Schorlemmer, die Wochenzeitung »Freitag« hat ihr Herausgeber-Quartett »verabschiedet«, also auch Sie. Sie werfen dem Blatt vor, ein »Projekt des Brückenbaus« für beendet erklärt zu haben. Das ist der interessante Punkt: dieser Brückenbau, als gesellschaftliches Thema.
DANIELA DAHN: Der »Freitag« hatte eine Ost- und eine Westwurzel. Das Blatt besaß daher relativ lange ein Gespür für die Komplikationen im Zusammenwachsen von Ost und West, auch in Europa. Gespür dafür, dass es produktiven Reiz hat, wenn Intellektuelle in zwei Systemen sozialisiert wurden, also jeweils eine andere Art haben, Dinge zu analysieren.
Es gibt diese Spannung noch?
DAHN: Sie entsteht nach wie vor aus widerstreitenden Weltsichten und -erwartungen. Es geht darum, neugierig bleiben zu wollen, was das im Gedankengebäude einer Gesellschaft bewirkt. Die Behauptung, diese Spannung hätte sich erledigt, ist ignorant. Auch wenn längst nicht alle Gräben eine Ost-West-Ausrichtung haben.
FRIEDRICH SCHORLEMMER: Der Himmel ist gleichsam noch geteilt, darüber muss man reden können.
Sie gehörten 1989 zu den Aktivisten der Veränderung im Osten. Tut noch immer weh, dass Ihre Ideen, grob gesagt, von der D-Mark überrollt wurden?
DAHN: Es schmerzt, dass die Hoffnung auf eine solidarische Gesellschaft von einem harten Konkurrenz-Prinzip verdrängt wurde. In der Umbruchzeit, im und unmittelbar nach dem Herbst 1989 gab es im Osten eine nie dagewesene politische Wachheit, Besonnenheit, Selbstkritik und Offenheit. Sie wurde von der Idee getragen, nicht nur der aufgebrachte Osten, sondern auch die festgefügte Bundesrepublik habe Veränderungslust, und es entstünde womöglich ein neues Drittes. Statt dessen glaubte der Westen, nur siegen zu müssen, und der Osten wurde genötigt, sich als Verlierer zu betrachten.
SCHORLEMMER: Wir befreiten uns aus dem Schwitzkasten SED und wurden fortan nur beäugt, wie eilfertig und vor allem wie frag-los wir als Kücken der Demokratie, quasi erneut im Gänsemarsch, die lästigen Eierschalen des utopischen Denkens abwerfen.
Jetzt fehlt nur noch, dass Sie die Meinungsfreiheit, für die auch Sie auf dem Berliner Alexanderplatz auftraten, Schnattern nennen.
SCHORLEMMER: Nein. Das westliche Leben führte in die Freiheit – und zugleich in sehr alte Strukturfragen hinein, die diese Gesellschaft jetzt mehr denn je prägen: Wie komme ich weiter, wie setze ich mich gegen andere durch, wo liegt der größte Vorteil für mich? Vereinzelung statt Suche nach Verbündeten, für das Mühen um eine solidarische Gemeinschaft in verantwortungsbewusster Freiheit. Das Privatinteresse trat wieder gefährlich hervor – als gelte es, ein spezielles DDR-Erbe zu wahren: Privat geht vor Katastrophe.
Das Private ist kostbar!