Venezuela Die Opposition gegen Nicolás Maduro wird das Land in eine bessere Zukunft führen? Mitnichten: Gewalt, Korruption, Verfassungsbruch finden sich auf beiden Seiten
Erschienen in der Freitag Ausgabe 06/2019
In Venezuela ein „Klima der Unregierbarkeit“ schaffen, den Staat „lahmlegen“ und ausländische Interventionen befürworten: Eben so hat Juan Requesens die Ziele seiner Oppositionspartei Primero Justicia immer beschrieben. Darin war die Opposition nun spektakulär erfolgreich. Umso bitterer, dass auch die mitunter exzesshaften Reaktionen, dass Arroganz und politische wie ökonomische Fehler seitens des Chávismus zu dem Chaos geführt haben, das in Venezuela herrscht – Gewalt, Korruption, Verfassungsbruch finden sich auf beiden Seiten.
Doch von einer Opposition, die das Gebäude des Obersten Gerichts anzündet, weil ihr Urteile nicht passen, die sogar Lynchjustiz betreibt, davon hört man hier kaum etwas. Der Anwalt José Félix Pineda etwa, Kandidat für die verfassunggebende Versammlung, wurde von Angreifern in seinem Haus erschossen. Die Guarimbas, Gewaltaktionen der oppositionellen paramilitärischen Gruppen, führten allein 2014 zu 43 Toten und 878 Verletzten. Hiesigen Großmedien ist nur zu entnehmen, dass Oppositionelle in Haft sind; nie, dass es um den Vorwurf von Anstachelung zur Gewalt geht, wie berechtigt dieser im Einzelnen auch sein mag.
Die wohlhabende Klasse hat Chávez’ Reformen zugunsten der Armen nie akzeptiert. Heute wird so getan, als herrschten vor den Sozialisten Wohlstand und Rechtsstaatlichkeit im Land. Doch der Sieg der Bolivarischen Revolution 1999 war nicht auf eine Charme-Offensive zurückzuführen, sondern auf die angestaute Wut darüber, dass unter US-amerikanischer Vorherrschaft die Hälfte der Bevölkerung unter die Armutsgrenze fiel. In den 80er Jahren hatte eine Staatsverschuldung von 30 Milliarden US-Dollar zu den üblichen neoliberalen Spar- und Privatisierungsauflagen des Internationalen Währungsfonds geführt. Zehn Jahre vor Chávez’ Wahlsieg war ein mehrtägiger Hungeraufstand im ganzen Land ausgebrochen: der Caracazo, gegen den Milizen eingesetzt wurden – es gab laut Schätzungen bis zu 3.000 Tote. Der Internationale Gerichtshof verurteilte die Verletzung von Menschenrechten, verlangte Entschädigung für Mord und Folter – gezahlt wurde diese erst unter Chávez.
Zurück ins Jetzt – was meint Nicolás Maduro, wenn er vom „Wirtschaftskrieg“ spricht? Der Ölpreis fällt nicht wie Regen, er ist immer auch ein politischer Preis. Als die größte Erdölgesellschaft Lateinamerikas, die staatliche Petróleos de Venezuela, eine Kooperation mit Russland und China ankündigt, erhob das der Ex-Chef der Ölgesellschaft ExxonMobile und damalige US-Außenminister Rex Tillerson zum Problem der „nationalen Sicherheit“. Sein Nachfolger Mike Pompeo, damals CIA-Chef, ergänzte: „Wir arbeiten hart daran“, was eine Zermürbungsstrategie beschrieb, zu der die Manipulation von Wechselkursen ebenso gehört wie den ganzen Weltmarkt blockierende Sanktionen und organisierte Verknappung von Waren.
Wenn Wohlmeinende jetzt beide Seiten zum friedlichen Gespräch auffordern, so ist das richtig. Denn schon die Planung und Androhung von Gewalt ist ein Kriegsverbrechen. Aber es ist auch wohlfeil. Bereits 2017 hatte Maduro ein Dekret über einen „nationalen Dialog zur Stabilisierung der Wirtschaft“ erlassen. Wie die Abhängigkeit vom Öl schrittweise überwunden werden könnte, das sollten Unternehmer, Arbeiter, Kommunale Räte und Politiker gemeinsam herausfinden. Doch der Boykott ist eine weitere Stärke dieser Opposition.