Der Abrüstungs-Vorstoß von Außenminister Steinmeier ist höchst willkommen, wird aber durch Einseitigkeit beschädigt
erschienen in: der Freitag 35/16
Was kann es für einen Außenminister Löblicheres geben, als sich für friedliche Zusammenarbeit einzusetzen. Frank-Walter Steinmeier ist ein besonnener Mann, die neue Initiative reiht sich ein in seine zähen Bemühungen um Konfliktlösungen, von Minsk bis Damaskus. Er hat einen guten Draht zu Außenminister Lawrow und musste sich deshalb als Russland-Versteher beschimpfen lassen. Woraufhin er zu Recht explodierte: Wer die andere Seite nicht verstehen wolle, solle auch keine Außenpolitik machen. Jüngst hat er Kriegsgeheul und Säbelrasseln der NATO bei Manövern in Osteuropa kritisiert, was ihm Unmut im Brüsseler Hauptquartier einbrachte und das FAZ-Verdikt, dieser „desaströse Auftritt“ habe ihn seiner Glaubwürdigkeit beraubt. Dabei hat Steinmeier damit bei vielen Menschen hoffnungsvolle Erwartungen geweckt. Wenn so einer mutig zugibt, besorgniserregende Spannungen in Europa erklärten sich auch aus dem „Ringen um geopolitische Einflusssphären“, und einen Neustart bei der Rüstungskontrolle will, würde man sich gern uneingeschränkt über seinen Außenminister freuen. Zumal die Forderungen nach Obergrenzen für Waffen, auch für Drohnen, nach transparenter Beobachtung, einleuchten. Aber leider verdirbt einem der Minister die Freude durch selbstgerechte Schuldzuweisung einzig an die Russen.
Ist es ein Zugeständnis an die Scharfrichter in den Medien? Der beginnende Wahlkampf kann es nicht sein, denn die Mehrheit der Wähler ist die mediale Russenhatz hierzulande leid. Der KSE-Vertrag, der nach 1992 half abzurüsten, „wird seit Jahren von Russland nicht mehr umgesetzt“, so Steinmeier in seinem „Kooperationsangebot“. Das stimmt zwar, aber wenn man das Warum unterschlägt, rutscht man leicht ins Demagogische. Dieser Vertrag sollte das Gleichgewicht und die geografische Distanz zwischen der NATO und dem früheren Warschauer Pakt gewährleisten. Schon mit der ersten NATO- Erweiterung 1999 wurde er einseitig gebrochen. Man einigte sich immerhin auf ein Anpassungsabkommen, das Russland 2004 ratifizierte, die NATO bis heute nicht. Angeblich weil der Status von Transnistrien ungeklärt ist. So begann der Ukraine-Konflikt ohne gültigen Kontrollvertrag. „Die Grundprinzipien der europäischen Friedensarchitektur“ sind nicht erst durch die „Annexion der Krim“ in Frage gestellt worden, wie Steinmeier klagt, sondern spätestens 1999 durch die NATO.
Vier Jahre nach dem Gemetzel in Srebrenica, als die Konflikte längst weitgehend unter Kontrolle waren, hat der Westen mit aktiver deutscher Beteiligung einen sinnlosen, zerstörerischen Angriffskrieg gegen Restjugoslawien geführt. Da spielten Völkerrecht und territoriale Unversehrtheit keine Rolle, da wurden vom Verbündeten Russlands Gebiete abgetrennt, neue Grenzen gezogen und im Kosovo ungefragt die größte ausländische Basis der US-Armee errichtet. Durch den vom Westen beförderten Machtwechsel in Kiew war plötzlich der Stützpunkt der russischen Schwarzmeerflotte gefährdet, den Zarin Katharina 1783 in Sewastopol begründete. Seine Rückeroberung von der deutschen Wehrmacht 1944 durch die Rote Armee hat einen hohen Stellenwert im russischen Geschichtsbewusstsein. Mit seiner zeitgeistgerechten Verurteilung fällt Steinmeier hinter eigene Bekenntnisse zurück, wonach den Deutschen die Erfahrung der schuldbeladenen Vergangenheit nicht verloren gehen dürfe. Wenn nicht billigen, so könnte man doch bedenken, warum die von der übergroßen Mehrheit der Bewohner gewollte Abtrennung der Krim als Akt verteidigungspoliti- scher Notwehr gesehen wird. Nötig, bevor man durch weitere Landnahme der NATO nicht mehr handlungsfähig ist. Russland verweigere sich Verifikationsmechanismen, klagt der Minister ohne nähere Erläuterungen. Gab es vor zwei Jahren nicht in Slowjansk verhaftete Bundeswehroffiziere, die sich widerrechtlich als zivile OSZE-Beobachter ausgegeben hatten, obwohl sie ihrem Verteidigungsministerium berichteten? Könnte man da nicht etwas kleinlauter auftreten?
Alle sind schuldig, vor allem wir Politiker, bekannte Putin vor nunmehr 15 Jahren in seiner heute leider verdrängten Rede vor dem Bundestag. Wir hätten es noch nicht gelernt, uns von den Stereotypen des Kalten Krieges zu befreien. Aber ohne eine moderne europäische Sicherheitsarchitektur lasse sich kein Vertrauensklima schaffen. Danach hat es auch von russischer Seite immer wieder Versuche gegeben, das Unmögliche zu ermöglichen. Zuletzt im März 2015, als versichert wurde, man wolle „nicht der Totengräber der Rüstungskontrolle“ sein, sondern einen Vertrag, der die Realitäten berücksichtige. Ja, die Lehre aus der Entspannungspolitik von Egon Bahr bleibt richtig: Immer die Interessen der anderen Seite mitdenken. Nicht Zusammenarbeit vorschlagen und gleichzeitig das klischierte Feindbild bedienen. Vielleicht ist all diese Einseitigkeit ja reine Taktik, um bei der NATO überhaupt Gehör zu finden. Sollen die Politiker unter sich taktieren und die Öffentlichkeit mit Zerrbildern verschonen. Die öffentliche Meinung ist längst zur wichtigsten strategischen und taktischen Waffe geworden. Wenn Abrüstung nicht hier beginnt, ist Hopfen und Malz verloren. Und das gilt nun wirklich für alle Seiten. Über den eigenen Schatten springen kann man jedoch nur bei sich selbst. Mehr Vertrauen wagen!