Als im September 1999 ihr Buch »In guter Verfassung?« erschien, war die Schlammschlacht bereits geschlagen. Nachdem Daniela Dahn dem Werben der PDS-Fraktion des Brandenburgischen Landtags nachgegeben und sich zu einer — auch von den SPD- und CDU-Parlamentariern zunächst mehrheitlich unterstützten — Kandidatur für das Ehrenamt einer Richterin am brandenburgischen Verfassungsgerichts bereit erklärt hatte, machten ihre Gegner mobil. Mit ungeheurer demagogischer Energie verhinderten sie, wozu sich die demokratisch gewählten Volksvertreter schon entschlossen zu haben schienen. Die Dichterin wurde keine Richterin. Aber warum nicht? Argumente wurden nicht gesucht, sondern entschieden gemieden. Die Bewerberin, so hieß es etwa, sei noch nicht im Westen angekommen (Heribert Prantl), sie sei eine »Schutzheilige der Unaufgeklärten« (Joachim Gauck), verharmlose die Diktatur, verhöhne die Mauertoten; jedenfalls stehe sie nicht auf dem Boden unserer freiheitlichen Verfassung, weswegen sie auch unmöglich im Namen dieser Verfassung Recht sprechen könne… Dem Leser von Daniela Dahns Büchern mußten die Ohren klingen. Gibt es eine dunkle, sinistere, heimtückische Seite der Autorin, die sie uns in ihren Texten verheimlicht?
Daniela Dahn hinterfragt die politische, rechtliche und soziale Konstitution einer Gesellschaft, mißt den demokratischen Rechtsstaat an seinen eigenen Maßstäben. Genau darin sehe ich die Aufgabe politischer Publizistik, und dieser Aufgabe stellt sich Daniela Dahn mit einer Konsequenz, Geradlinigkeit und auch Radikalität wie kaum sonst jemand. Aber gerade darin liegt auch, fürchte ich, der neuralgische Punkt — und ich fürchte es nicht ihret-, sondern unseretwegen. Daniela Dahn ist unbequem, auch, aber gar nicht einmal in erster Linie wegen ihrer politischen Schlußfolgerungen; damit könnte und sollte man sich politischauseinandersetzen, deshalb schlußfolgert sie ja öffentlich. Nein, sie ist für manche vor allem wegen ihrer Insistenz unbequem, ihre Kompromißlosigkeit kann einem die eigenen Kompromisse, die eigene Bequemlichkeit, den eigenen Opportunismus schmerzhaft vor Augen führen. Und das schafft Feinde, wo man sich eigentlich politische Gegner wünscht.
»Viel Feind, viel Ehr«, macht zwar ein Sprichwort weis. Aber das ist falsch. Feinde meiden den offenen Streit, sie wollen nicht kämpfen, sondern bekämpfen — und sind bei der Wahl ihrer Mittel nicht eben zimperlich. lm Falle Dahn witterten sie jüngst geradezu reflexartig wieder einmal die Chance, der unliebsamen Person endlich eben das abzusprechen, was sie als Autorin auszeichnet: ihre Wahrhaftigkeit und Integrität. Animiert womöglich von der leicht abseitigen Debatte über die Authentizität der Tagebücher von Sebastian Haffner, stürzten sich einige Feuilletonisten hoffnungsfroh auf die jüngste Veröffentlichung von Daniela Dahn: die gerade erschienene Neuausgabe ihres erstmals 1987, also zu dunklen DDR-Zeiten, publizierten Buches »Prenzlauer Berg-Tour« (Rowohlt Verlag Berlin, 29.90 Mark).
Und siehe da, alle Hoffnungen schienen in Erfüllung zu gehen: Man entdeckte Abweichungen, wenige zwar, aber darauf kam es nun nicht mehr an. Da man ohnehin schon immer gewußt hat, wes Geistes Kind die Auto-rin ist, gab es auch keine Veranlassung, bei ihr nachzufragen, den Varianzen nachzuspüren. Eine »Mogelpackung«, gab Der Spiegel den Refrain vor, und viele stimmten ein: Nach der Wende korrigiert (Süddeutsche Zeitung), in wesentlichen Punkten verändert (Berliner Zeitung), gemalt, gestrichen, geschummelt (Der Tagesspiegel). Mit dem Vorwurf, hier schöne jemand seine Biographie und mache sich nachträglich mutiger, errang die Berliner Zeitung schließlich den ersten Preis im »Kritiker«-Wettbewerb. Das paßte. War und ist doch gerade Daniela Dahns Mut ein stetes Ärgernis.
Aber die Eiferer eiferten ins Leere. In der Neuausgabe von 2001 steht kein einziger Satz, der nicht schon 1987 im Manuskript der Autorin enthalten gewesen wäre; bei den freudig entdeckten Abweichungen — sie machen in diesem 240-Seiten-Buch genau 24 Zeilen aus — handelt es sich lediglich um die Rekonstruktion des seinerzeit von der Zensur in einigen Passagen veränderten Originals. Der einzige Fehler bestand darin, diesen Umstand, auf den die Autorin im neuen Nachwort selber hinweist, nicht im Impressum herausgestellt zu haben — ein Versäumnis, für das Daniela Dahn den Preis zu zahlen hat. Denn Diffamierungen und Herabwürdigungen hinterlassen Spuren. Natürlich nicht bei den Eiferern, die sich rasch achselzuckend zügeln — »Wieder nichts!« — und ihre Aversion his zur nächsten Gelegenheit konservieren.